Nach den Erzählungen Bondage 1, 2, 3 kommt nun etwas Leichteres, nämlich 1, 2, 3 spirituelle Geschichten für Kinder. Dem "Hündchen" folgte im März "Das Bäumchen", und im April "Der Bussard". Viel Spaß beim Lesen! Mein Enkel hat die Geschichten geliebt.

Das Hündchen

Es war einmal ein Hündchen. Ganz klein war es, mit puscheligem Fell und glänzenden braunen Augen. Das Hündchen hatte keinen Namen. Es war einfach da, und jeder hatte es lieb. Weil es so puschelig und wuschelig war und umherhüpfte wie ein fröhlicher Ball, riefen die Kinder es manchmal Puschel. Dann drehte es sich vergnügt im Kreis und versuchte, an den Kindern hochzuspringen. „Ich bin hübsch, ich bin froh!“ rief es in Gedanken. Wenn die Kinder seine Gedanken hörten, lachten sie, kitzelten es oder nahmen es in den Arm. So lebte das Hündchen.

Eines Tages hatte das Hündchen in der Sonne gelegen und geschlafen. Als es aufwachte, spürte es, daß es ein wenig gewachsen war. „Oh, ich werde groß!“ dachte es und sprang auf die Beine. Es sah sich um und beschloß, ein wenig in die Welt hineinzulaufen. Dabei kam es an eine schöne grüne Wiese. Es rannte durch das Gras, und die Halme streichelten sein Fell. Das gefiel ihm so gut, daß es sich auf den Rücken schmiß und hin- und herkullerte. Die Grashalme sahen ihm zu und kicherten.

Dann rannte das Hündchen weiter und sah viele gelbe und weiße Blumen, die wie kleine Sonnen und Sterne leuchteten. Neugierig steckte es sein schwarzes Näschen in die Blütenköpfe und mußte heftig niesen. „Hatschi!“ machte es. Jetzt kicherten nicht nur die Grashalme, sondern auch die Blumen.

„Ist das schön in der Welt!“ freute sich das Hündchen. Da flatterte direkt vor ihm ein Schmetterling. Er sah gelb aus wie eine Zitrone und tanzte in der Luft. „Ich will auch so tanzen!“ wünschte sich das Hündchen. „Ich frage jetzt den Schmetterling, wie er das macht.“

Aber immer, wenn das Hündchen fragen wollte, flog der Schmetterling davon. Auf einmal war er weg. Das Hündchen blieb stehen und wunderte sich. Bei seiner Rennerei hinter dem Schmetterling her war es an einen Wald gekommen. „Puh, das ist gut“, schnaufte es. „Ich schwitze, und da drin im Wald ist es schattig und kühl. Ich gehe hinein und ruhe mich aus, und danach gehe ich zurück nach Hause.“

Gesagt, getan. Das Hündchen lief langsam über den weichen Waldboden, schnupperte, wonach der Wald riecht und war sehr zufrieden mit seinem Tag. Es war doch auch ein schöner Tag, nicht wahr, liebe Kinder? Dabei vergaß es völlig, daß es ja nach Hause wollte. Plötzlich knurrte sein Magen, und da fiel es ihm wieder ein. Es drehte sich um und wollte zurück, doch was war das? Alles um ihn herum
war fremd, und es wußte nicht, wohin es gehen sollte.

„Wo bin ich?“ fragte das Hündchen und plumpste erschrocken auf sein Hinterteil. Die Bäume rauschten und flüsterten: „Im Wald, du bist im Wald.“

„Ja, ja“, sagte das Hündchen, „das sehe ich ja. Aber wie komme ich
wieder nach Hause?“

„Das wissen wir nicht“, rauschten die Bäume, „das mußt du wissen.“

„Ich?“ murmelte das Hündchen, „ich weiß gar nichts.“ Weil es aber ein tapferes Hündchen war, entschloß es sich, seinen Weg nach Hause zu suchen. Es ging ein Stück in eine Richtung, dann ein Stück in eine andere Richtung, und dann noch woanders hin. Dabei knurrte sein Magen immer lauter, und die Beine taten ihm weh. Es wurde müde und fing an, sich zu fürchten. Noch nie war es so lange alleine gewesen.

„Ist denn hier niemand, den ich nach dem Weg fragen kann oder der mir was zu fressen gibt?“ dachte es ängstlich. Doch weit und breit war keine Menschenseele. Einsam und verlassen stand das Hündchen unter den Bäumen. Inzwischen war auch die Sonne untergegangen, und der Wald wurde dunkler und dunkler.

Das Hündchen holte tief Luft. „Ich bin groß, ich bin stark, ich weiß Bescheid!“ sagte es zu sich selbst und fing wieder an zu laufen. Es war wirklich ein tapferes Hündchen. Aber es half alles nichts, es fand nicht den Weg aus dem Wald heraus. Schon war es Nacht geworden. Das Hündchen war hungrig und erschöpft. Langsam kam die Angst und kroch in sein Fell.

„Was ist, wenn ich nie wieder nach Hause finde?“ gruselte es sich. „Oder wenn mich ein wildes Tier frißt?“ Kaum hatte es diesen Gedanken zu Ende gedacht, da knackte es im Gebüsch, und grüne Augen funkelten es aus der Dunkelheit an. Das Hündchen wollte bellen, doch vor lauter Schreck krächzte es wie ein Rabe und sauste so schnell es konnte davon.

Doch oh weh! In seiner Angst hatte es gar nicht aufgepaßt, wohin es rannte, und war direkt in einen See gelaufen, der mitten im Wald lag. „Jetzt bin ich tot“, dachte es, als das kalte Wasser über seinen Ohren zusammenschlug. Aber weil es nicht tot sein wollte, steckte es seinen Kopf aus dem Wasser, schnaufte und ruderte mit seinen kleinen Beinen, bis es wieder am Ufer auf der Erde stand.

Zitternd lief es zu einem großen Baum und legte sich darunter nieder. Heiße Tränen kullerten aus seinen Augen. Das Hündchen war einsam und verloren, verloren für immer und ewig. So fühlte es sich.

Es legte seinen Kopf auf die Vorderfüße, weil es gar keine Kraft mehr hatte, ihn hochzuhalten, und blickte verzweifelt über den See. Die Lider wurden ihm schwer, und die Augen fielen ihm zu. Es träumte, daß alles um ihn herum schwarz und leer war. Nur er war da, ein winzig kleiner Hund ganz allein in der Dunkelheit. Da kamen aus dem schwarzen Nichts heraus leuchtend grüne Augen auf ihn zu. Es waren die gleichen Augen, die ihn vorhin schon aus dem Gebüsch angeschaut hatten.

Entsetzt fuhr das Hündchen aus dem Schlaf, sprang auf die Füße, und was sah es da? Es blickte tatsächlich in die grünen Augen aus seinem Traum. Die grünen Augen gehörten zu einem großen schwarzen Wolf. Das Hündchen öffnete sein Maul, japste, bellte und heulte, und das alles zur gleichen Zeit. So erschrocken war es. Der Wolf stand da und sagte kein Wort.

„Frißt er mich, oder frißt er mich nicht?“ überlegte das Hündchen und fürchtete sich gewaltig.

„Ich fresse dich nicht“, erwiderte der Wolf und grinste ein bißchen. „So ein winziger Happen, davon werde ich gar nicht satt.“

Das Hündchen mußte auch ein wenig lachen. Es starrte auf den großen Schwarzen und wurde auf einmal ganz ruhig.

„Hör mal“, sagte der Wolf, „was machst du denn hier im Wald?“

„Ich habe mich verlaufen“, antwortete das Hündchen kläglich, und schon kullerten wieder die Tränen.

„Ja, das habe ich mir schon gedacht“, meinte der Wolf. „Willst du nun im Wald bleiben, oder möchtest du wieder nach Hause?“

„Nach Hause“, schluchzte das Hündchen, „bitte, wieder nach Hause!“

„Na, dann setz dich mal auf meinen Rücken!“ befahl der Wolf. „Ich werde sehen, was ich tun kann.“

Das Hündchen traute sich nicht. Der Wolf war so groß und schwarz und fürchterlich, daß ihm angst und bange wurde.

„Nun mach schon!“ knurrte der Wolf, „sonst lasse ich dich hier unter dem Baum, und du kannst sehen, wie du zurecht kommst.“

Erschrocken sprang das Hündchen dem Wolf auf den Rücken, und der trabte los. Geschwind wie der Wind jagte er durch die Nacht, bis er am Haus des Hündchens angelangt war.

„Du bist daheim“, sagte er und ließ es sanft von seinem Rücken gleiten. Da stand der Kleine nun und wußte nicht, was er sagen sollte. So froh war er, so glücklich, daß er nicht mehr einsam im Wald saß. Und wie dankbar war er erst dem Schwarzen, daß der ihn gerettet hatte! Er verstand gar nicht mehr, warum er sich so vor ihm gefürchtet hatte.

„Ruf mich, wenn du Hilfe brauchst“, sagte der Wolf zu ihm, drehte sich um und war verschwunden.

Überglücklich plauzte das Hündchen auf seinen Schlafplatz und war eins, zwei, drei eingeschlummert. Es träumte von leuchtend grünen Augen und schwarzem Fell. Diesmal lächelte das Hündchen im Schlaf.

Februar 2014

    © Karin Usbeck
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Karin Usbeck, Thüringen